Veränderung durch Reisen - Die Liebe zur Sprache entdecken

Seit ich letzten Sommer von meiner ersten Backpackingreise zurückgekommen bin, bin ich nicht mehr dieselbe. Durch die Erfahrungen, die ich in Asien gemacht habe, bin ich dankbarer geworden und demütiger. Ich bin mit weniger Materiellem zufrieden und will stattdessen Erfahrungen sammeln. Auch wenn es mich damals richtig geschüttelt hat und ich innerhalb von zwei Monaten meinen nächsten Tripp buchte.

 

Und immer wieder beschäftigt mich das Thema Veränderung auf Reisen. Deswegen starte ich heute eine Reihe mit dem Thema Veränderung durch das Reisen. Ich habe die verschiedensten Reiseblogger befragt, wie das Reisen sie geprägt, wie sie sich durch das Reisen verändert haben.

 

Dabei habe ich insbesondere folgende Fragen gestellt:

  1. Wie hat dich das Reisen verändert?
  2. Allgemeines zur Länge deiner Reise: Wie lange warst oder bist du unterwegs? Machst du eher Lang- oder Kurzzeitreisen? Bist du Dauerreisender oder bist du immer wieder nur vorübergehend unterwegs?
  3. Welcher Ort hat dich am meisten geprägt und wieso?
  4. Was hast du auf Reisen für's Leben gelernt?

 

Heute gibt es zu diesem Thema einen Gastartikel von Ilona von Wandernd.

 

Wenn man ins kalte Wasser gestoßen wird, muss man einfach schwimmen

Reisen macht selbstbewusster. Das ist fast schon ein Allgemeinplatz. Aber wie konkret diese Veränderung sein kann, habe ich bei meinem einmonatigen Aufenthalt in Florenz bemerkt.

 

Mein wunder Punkt

Urheber der Fotos: I.Mages
Urheber der Fotos: I.Mages

Es war Frühjahr 2009. Die Magisterarbeit war abgeschlossen und auch die letzten Prüfungen sollten bald geschafft sein. Für die Zeit „danach“ – nach dem Studium – hatte ich eine Reise geplant. Eine Reise, von der ich schon lange träumte. Etliche Jahre zuvor nahm ich nebenbei in der Uni einen Flyer mit: Sprachkurse in Florenz. Ach ja, so etwas würde ich gerne einmal machen.

 

Mit dem Italienisch lernen hatte ich bereits begonnen: Einmal in der Woche 90 Minuten, ganz klassisch. Aber besonders erfolgreich war ich dabei nicht. Die Grammatik saß so halbwegs, aber sprechen? Das war ein Fiasko! Ich brachte keinen geraden Satz heraus. Und wenn jemand mit mir Italienisch sprach, war ich völlig verloren.

 

Ich war schon in der Schule in Englisch eher gutes Mittelmaß und in Französisch und Latein eine Niete gewesen. Ich war einfach nicht besonders sprachbegabt, das stand für mich fest. Möglicherweise klingt das nicht so tragisch, wenn ich es hier schreibe, aber dies war wirklich mein wunder Punkt – es hat mein Selbstbewusstsein sehr geschwächt und ich war oft am Boden zerstört, wenn ich mal wieder jemanden kennen lernte, der mehrere Fremdsprachen fließend beherrschte.

 

Aber ich liebte Italien und hatte mein Herz an die italienische Sprache verloren, deshalb wollte ich sie so gerne beherrschen. Nach ungefähr vier Semestern Sprachkurs waren meine praktischen Fähigkeiten aber immer noch bei Null.

 

Also schloss ich mit mir selbst ein Abkommen: Ich würde nach dem Studium für vier Wochen nach Florenz gehen. Sollte ich danach noch immer nicht in der Lage sein, Italienisch zu sprechen, würde ich sämtliche Fremdsprachen an den Nagel hängen und nie wieder versuchen, eine zu erlernen.

 

Mit Schwung ins kalte Wasser

Florenz Ponte Danta Trinita

Das war also die Ausgangssituation, als ich Ende März 2009 nach Florenz aufbrach. Ich war schrecklich aufgeregt. In gewisser Weise hatte ich mir ja selbst die Pistole auf die Brust gesetzt. „Deine letzte Chance! Entweder Du schaffst es jetzt oder Du lässt es bleiben!“ Ich würde niemals ein Sprachentalent werden, da war ich sicher. Aber diesmal wollte ich es versuchen. „Wenn man ins kalte Wasser gestoßen wird, muss man einfach schwimmen!“, sagte eine Freundin damals. Und so traf ich vor allem eine Vorkehrung: Besuchsverbot aus Deutschland, denn ich wollte kein Deutsch sprechen.

 

Das Problem war nur: Ich sprach ja eigentlich gar kein Italienisch! Mi chiamo Ilona, sono tedesca. – Non lo so. – Berlino è la capitale della Germania. – Ho prenotato una camera doppia… damit kam ich nicht besonders weit.

 

Ich würde mir eine Wohnung mit anderen Studenten teilen – waren das Italiener? Oder andere Sprachstudenten? Sprachen die überhaupt gut Italienisch? Und was tat ich, wenn sie nur Italienisch sprachen, wo ich doch so gut wie nichts verstand? All diese Fragen gingen mir unablässig durch den Kopf und als ich nach elf Stunden Zugfahrt in der Wohnung ankam, wurde ich von einem älteren Herrn begrüßt, dem Vermieter. Eine meiner neuen Mitbewohnerinnen war auch schon da – eine junge Griechin, die mich gleich fließend auf Italienisch begrüßte. Kurz darauf kam die zweite Mitbewohnerin kam zur Türe hereingeschneit: Eine temperamentvolle Spanierin, die das Italienische nur so herunterrasselte.

 

Alle unterhielten sich prächtig und ich saß dazwischen, war todmüde, irrsinnig aufgeregt und verstand nur einen Bruchteil. „Capisco – ma non so parlare italiano“ – Ich verstehe, aber ich kann kein Italienisch sprechen – wiederholte ich unablässig. Denn es war das einzige, was mir einfiel. Die Idee, mich mit einem „Sono stanca“ – Ich bin müde – schnell zu verabschieden und erst mal zurückzuziehen, ließ sich nicht so einfach umsetzen. Und so saß ich da und mir war kalt und heiß. Was für eine Scheißidee mit meinem mangelnden Sprachtalent einen Sprachkurs in Italien machen zu wollen.

 

Manchmal muss man einfach schwimmen

Florenz

Nach zwei Wochen träumte ich auf Italienisch.

 

Meine beiden Mitbewohnerinnen waren Gold wert. Beide sprachen fließend Italienisch und hatten eine Engelsgeduld, mir beim Lernen zu helfen. Sie erklärten mir die Grammatik und hielten mir ein ums andere Mal scherzhaft einen Teelöffel und einen Esslöffel vor die Nase „Na? Wie heißt das?“ bis ich irgendwann endlich „Cucchiaino“ und „Cucchiaio“ unterscheiden konnte. Wenn es irgendetwas Komplizierteres zu klären gab (etwa die Abrechnung des Einkaufs), dann sprachen sie mit mir Italienisch und ich antwortete auf Englisch – aber auch nur zu Beginn. Bald war das nicht mehr nötig. Es war nicht einmal mehr möglich, denn ich bekam bald keinen englischen Satz mehr heraus, da ich ständig die italienische Grammatik anwandte.

 

Meine Taktik jeder deutschen oder englischen Unterhaltung soweit nur möglich aus dem Weg zu gehen und mich selbst zum Italienisch sprechen zu zwingen brachte zwar manche peinliche Situation (etwa als ich in der Apotheke lautmalerisch eine Brausetablette imitierte), führte aber letztendlich zum Erfolg. Und zwar nicht nur für mich.

 

Nach zwei Wochen zog eine vierte Mitbewohnerin ein – eine Deutsche, deren gesamtes Italienischwissen aus einem Selbstlernkurs stammte. Gleich zu Beginn erklärte ich ihr, dass ich eigentlich kein Deutsch sprechen wollte. Sie war damit einverstanden. Schließlich, so sagte sie, sei sie hier, um Italienisch zu lernen. Ich sprach von nun an mit ihr Italienisch, sie antwortete auf Englisch, bis sie nach wenigen Tagen begann, erste italienische Sätze selbst zu bilden. Als ich abreiste war sie die beste in ihrem Anfängerkurs.

 

Auf der Rückfahrt traf ich im Zug zwei Deutsche, die ebenfalls einen Sprachkurs am Istituto absolviert hatten. Eine hatte schon etwas Italienisch gesprochen, die andere keinerlei Vorkenntnisse. Beide waren befreundet, teilten sich ein Zimmer und unterhielten sich die ganze Zeit auf Deutsch. Sie beklagten sich, die Schule sei schlecht gewesen – die Anfängerin könne noch immer nicht italienisch sprechen!

 

Ein Schule kann noch so gut sein – aber man muss sich halt wirklich darauf einlassen. Viel wesentlicher als der Unterricht war für mich, ins kalte Wasser gestoßen zu werden. Alleine in ein Land zu fahren, dessen Sprache ich lernen wollte. Mich zu zwingen, mein Tagebuch in dieser Zeit auf Italienisch zu führen, egal ob das bedeutete, dass ich einen großen Teil meiner Gedanken nur in grammatikalisch höchst fragwürdigen Sätzen zu Papier brachte. Und noch mehr mich zu zwingen, Italienisch zu sprechen, wie peinlich es auch sein mochte.

 

Seither weiß ich, dass ich jede Sprache lernen kann, wenn ich nur will – und das sogar in einem relativ kurzen Zeitraum. Und ich bin mir seither sicher, dass ich alles bin, aber sicher keine Niete im Sprachenlernen.


Ilona, Anfang 30, bloggt auf Wandernd über ihre Reisen. Individuell und mit der Gruppe. Mit dem Fahrrad, dem Zug, zu Fuß oder per Flugzeug. In nah und in fern. Ganz besonders hat sie ihr Herz – wie könnte es anders sein – an Italien verloren und viele ihrer Artikel Florenz gewidmet.


 

Dieser Beitrag ist Teil der Serie Veränderung durch Reisen:

  1. 12 Reiseblogger verraten, wie sich durch das Reisen ihr Leben verändert hat
  2. Infografik Veränderung durch Reisen: 30 Reiseblogger packen aus
  3. Von Österreich über den Kosovo bis zur Isle of Skye - Gastartikel von Michael Neumayr (Britlog)
  4. Vom Pauschalurlaub zum Individualtourist - Gastartikel von Susanne Ullrich (Wortgestalten)
  5. Und so lernte ich 21 Arten zu lächeln - Gastartikel von Janine Sendatzki (Finding Hummingbirds
  6. Alleine unterwegs mit Kind - Gastartikel von Stephanie Schulz (Freileben)
  7. Der Weg zur Leichtigkeit - Gastartikel von Aras Orhon (W.E.G.)
  8. Die Liebe zur Sprache entdecken - Gastartikel von Ilona (Wandernd)

 

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